Gedanken über das Schreiben by Schlink Bernhard
Autor:Schlink, Bernhard [Schlink, Bernhard]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Neue Literatur
ISBN: 9783257603910
Herausgeber: Diogenes
veröffentlicht: 2015-01-12T16:00:00+00:00
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Manchmal ging nach einer Lesung das Gespräch über die Liebe noch weiter. Dann folgte auf die Frage, ob ich die Gestalten liebe, über die ich schreibe, die Frage, ob ich die Leser liebe, für die ich schreibe.
Ich verstehe auch die Logik dieser Frage. Wenn ich schreibe, gebe ich Einblick in mein Inneres, Eigenes, Privates, Intimes. Ich mache eine Tür zu mir auf, lasse sie ein bisschen geöffnet, lasse sie gewissermaßen angelehnt, und manche Leser verstehen die angelehnte Tür als Einladung und die Einladung als Ausdruck von Zuneigung. Es gibt Leser, die klopfen an, ehe sie die Tür aufmachen und hereinschauen. Andere Leser schauen einfach herein, tun es aber mit Charme. Wieder andere stehen plötzlich im Zimmer, besonders Schüler mit ihren Fragen: Was haben Sie sich gedacht, als Sie das Buch schrieben? Haben Sie erlebt, was im [49] Buch steht? Was wollen Sie den Lesern mit dem Buch sagen? Die Antwort eilt – die Schüler müssen in drei Tagen ein Referat über mich halten. Sie haben anscheinend den Eindruck, ich hätte mich ihnen mit dem, was ich geschrieben habe, werbend genähert und müsse jetzt auch für sie verfügbar sein. Einige wenige Male haben Leserinnen einen Roman oder eine Geschichte aufgenommen, als hätte ich ihnen einen Liebesbrief geschrieben, und haben mit einem Liebesbrief geantwortet.
Manches, was mir in der Fülle der Briefe und E-Mails erzählt wird, berührt mich, freut mich, macht mich traurig, beschäftigt mich. Manchmal ist einfach interessant, wie verstanden wird, was ich geschrieben habe, oder wozu sich meine Leser durch meine Bücher anregen lassen. Gelegentlich entsteht ein Briefwechsel, eine Briefbekanntschaft. Ich beantworte jeden Brief, jede E-Mail, mal knapper, mal länger, allerdings bekommt nicht jede Antwort, die auf meine Antwort kommt, wieder eine Antwort. Habe ich zu viel zu tun, wird mir die Korrespondenz mit den Lesern zu viel. Aber selbst dann noch erlebe ich die Fülle der Briefe und E-Mails als Reichtum und freue mich.
Hat, was derart zwischen meinen Lesern und mir passiert, mit Liebe zu tun? Liebhaber und Geliebter der Welt – so charakterisiert Adrian [50] Leverkühn in Thomas Manns Doktor Faustus den Künstler und zweifelt, ob er selbst zum Künstler tauge, weil er weltscheu sei und es ihm an Wärme, Sympathie, Liebe mangele. Liebt der Autor seine Leser, und will er von ihnen geliebt werden? Oder zielt der Begriff des Liebhabers, den Adrian Leverkühn gebraucht, gar nicht auf die Liebe, sondern auf die Rolle des Liebhabers als das männliche Pendant zur Rolle der Mätresse? Ohne Weltläufigkeit, ohne Fähigkeit zu Wärme, Sympathie und Liebe ist die Rolle nur schwer zu spielen, aber die Fähigkeit ist eine Sache mehr des geeigneten Temperaments und der beruflichen Qualifikation als des tiefen Empfindens. Auch der Begriff des Geliebten schillert. Auch bei ihm lässt sich an beides denken, ans Geliebt-Werden und an das männliche Pendant zur Rolle der Geliebten.
Wie die Begriffe schillert auch das Verhältnis zwischen Autor und Leser. Wir wollen gelesen werden, und weil die Wertschätzung eines Buchs und die Wertschätzung seines Autors miteinander verknüpft sind, wollen wir jedenfalls so geliebt werden, dass wir gelesen werden.
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